FLUGZEUGABSTURZ AM 8. März 1944 BEI RIESDORF IM RAUM JÜTERBOG

Das Schicksal des B-17
Bombers „Katie's Boys"
und seiner Besatzung

Ein Beitrag aus der Reihe Fläminger Geschichtsbeiträge
                                              
(c) 2001 Andreas Trotz

Bevor russische Armeeangehörige im Frühjahr 1945 in den Niederen Fläming einmarschierten, waren im Frühjahr 1944 bereits zehn amerikanische Soldaten dort. Unfreiwillig landeten sie mit ihren Fallschirmen auf Feldern im südöstlichen Jüterboger Umland, kurz bevor ihr Flugzeug am Boden zerschellte. Wanderer in der Sernower Heide zwischen Hohengörsdorf, Fröhden und Riesdorf mögen sich noch heute wundern, was die schwarzen Gummiteile und die großen Aluminiumklumpen, die dort in einem Waldstück noch herumliegen, zu bedeuten haben. Nur ein paar Jahrzehnte nach diesem Vorfall wußte in den anliegenden Orten niemand so recht über den Hintergrund zu berichten, außer, daß hier irgendwann im Frühjahr 1944 irgendein Flugzeug abgestürzt sein soll und daß wohl alle Besatzungsmitglieder überlebt haben sollen. So schnell vergeht Geschichte.  Die Amerikaner hatten ihren Bericht gefertigt über das, was sie vermißten. Die Deutschen hatten ihren Bericht gefertigt über das, was sie fanden. Nach langen Recherchen in den USA, in England, in den Niederlanden und in Deutschland führt dieser Beitrag nun vorhandene Berichte, Augenzeugenaussagen und sonstige Fakten zusammen und berichtet über den Gesamtvorfall.

Am Morgen des 8. März 1944 brach in Thorpe Abbotts, einem englischen Flugplatzstützpunkt der amerikanischen Bombereinheiten  der 100-sten Bombergruppe, die Besatzung des Piloten Norman Chapman  zu einer weiteren Tagesmission auf. Es war die Mission Nummer 252,  die Bombenziele vor allem in Erkner bei Berlin vorsahen, die dortigen Kugellagerwerke als kriegszulieferndes  Industriewerk.

Ihr eigentliches Flugzeug, eine viermotorige  B-17 mit dem ihr gegebenen Namen “Katie's” befand sich in Reparatur. Katie war der Vorname der Ehefrau des Piloten Chapman. Sie bekamen ersatzweise eine weitere B-17 zugewiesen, die den Namen “Holy Terror III”  (Heiliger Terror III) trug und Chapman benannte diese Maschine mit der  Seriennummer 42-40056 kurzerhand in “Katie's Boys” um. Auf dem seitlichen Rumpf stand der Flugzeugcode EP-F, auf der großen Heckflosse das Zeichen “D”, die abgekürte Seriennummer 240056 und das gelbe “F” des Flugzeugcodes. Sie gehörte zur 100-sten Bombergruppe, 351-ste Bomberschwadron.

Bereits auf dem Hinflug gab es in Westdeutschland, wo schwere Flakbatterien den einfliegenden Formationen auflauerten, Probleme mit einem der vier Motoren. Dennoch schaffte es die zehnköpfige Besatzung, wenn auch in einer leicht strauchelnden Maschine, daß Bombenziel zu erreichen und die explosive Fracht  abzuwerfen.

Anschließend fiel es erneut durch Motorenprobleme aus seiner Formation mit den anderen Bombern und wurde so ein  leichtes Ziel der deutschen Kampfflugzeuge. Vorab gab es zwar  Versuche, diese Fliegende Festung (Flying Fortress) mit den  begleitenden kleinen Thunderboldts zu schützen und es sah dann auf dem Rückflug anfangs so aus, als würde der schwere B-17-Bomber wieder unter Kontrolle sein und den Heimflug nach England fortsetzen können.

Der Rückflug erfolgte nicht auf dem kürzesten Weg über dem ebenfalls gefährlichen Flakgebiet Potsdams, sondern über eine südliche Schleife um Berlin in Richtung Fläming. Östlich von Jüterbog kam es dann zu einem erneuten Angriff auf die seit einiger Zeit nicht mehr in seiner Formation fliegenden Maschine. Der deutsche Feldwebel Werner Rubel attackierte in seiner Messerschmitt 109-G den allierten Bomber ca. 10 km östlich von Jüterbog. Daraufhin fing ein Motor der B-17 Feuer und ein weiterer Verbleib der Besatzung in dieser Maschine erschien dem Piloten Chapman zu gefährlich, er gab den Befehl zum Absprung. Diesen Abschuß bekam Rubel, der für das zu dieser Zeit in Jüterbog stationierte Jagdgeschwader 53 (II. Gruppe 6./JG53 - Pik As -) flog, für den Zeitpunkt 14:17 Uhr bestätigt. In den deutschen Kampffliegerstatistiken unterschied man zwischen sogenannten Herausschüssen - dem Herausschießen eines Flugzeuges aus seiner Formation - und Abschüssen, wenn der Beschuß zum Absturz der Maschine führte.

Katie's Boys flog nach diesem Beschuß eine Schleife, zunächst wohl in südlicher Richtung. Alle zehn Besatzungsmitglieder sprangen ab und landeten sicher mit ihren Fallschirmen auf Feldflächen in dem Gebiet der Orte Hohengörsdorf,  Fröhden und Markendorf. Die B-17 allerdings - mit einem nunmehr stark brennenden Motor - flog dann weiter in nordwestlicher Richtung, dicht an dem Dorf Riesdorf vorbei, wo sie von dem Augenzeugen G. Hannemann von einem Riesdorfer Bauernhaus aus noch gesehen wurde. In einer Entfernung von ca. zwei Kilometern vom Ort zerschellte sie dann in einem Wald der nördlichen Sernower Heide im Riesdorfer Gebiets und brannte fast vollständig aus.

Der Copilot Rex Ellis landete auf einem Feld nördlich Hohengörsdorfs und wußte sich zu erinnern, daß er gleich nach seiner Landung von mit Schaufeln und  Mistgabeln bewaffneten Ortsansässigen umlagert war, die ihn nach seinem Eindruck angreifen wollten. Nur zwei vorhandene Angehörige der deutschen Wehrmacht soll sie davon abgehalten und ihn gefangengenommen  haben. Die anderen neun Besatzungsmitglieder landeten in der näheren Umgebung und gerieten ebenfalls in Gefangenschaft. Co-Pilot Ellis, im Sommer 2001 81-jährig, schilderte seine Eindrücke während des Absprungs: “Als ich mit dem Fallschirm vom Flugzeug absprang und nach unten gleitete, konnte ich die anderen Besatzungsmitglieder sehen und dann ging das Flugzeug spiralförmig ganz in den Nähe zu Boden. Der Absturzpunkt war mehr als eine Meile von meiner Landestelle entfernt.” Aufgrunddessen, daß diese B-17 von anderen Bomberpiloten zuletzt angabegemäß circa 15 Meilen östlich von Berlin gesehen wurde, geht Ellis noch heute davon aus, daß seine Fallschirmlandung nordöstlich Berlins erfolgt sein müßte, der tatsächliche Ort des Geschehens lag jedoch rund 35 Meilen südlich Berlins, was die nachfolgenden Ausführungen eindeutig dokumentieren.

Gegen 17 Uhr dieses Tages erreichte das Bergungsteam der 2. Gruppe des Nahaufklärungsgeschwaders (NAG) 102 aus Jüterbog-Damm, unter Leitung des Herrn von Rüxleben, den Absturzort und fertigte anschließend einen umfangreichen Bericht hierüber. Vom
NAG waren noch anwesend Witteck, Hofmeister, Rietz, Siegert und Burghardt, ferner ein Fahrer mit LKW, eine begleitende Wache sowie die namentlich nicht genannte Landwacht aus Riesdorf.

Aus einer groben Gegenüberstellung des amerikanischen Verlustberichts Nr. 3032 (macr - missing air crew report) und dem deutschen Bergungsbericht Nr. 1153 (KU-Bericht “Kampfflugzeuge USA”) sowie einigen deutschen Berichten über Gefangennahmen ergeben sich folgende Daten:

MACR
8. März 1944
10 Besatzungsmitglieder vermißt



Norman Chapman Nr. 0-746292
Rex Ellis Nr. 0-752187
Glenn Lindbom Nr. 0-809659
Wilson Clark Nr. 0-750274
Milton Scharf Nr. 12188872
George Silverman Nr. 31153017
Durward Hutchings Nr. 12171577
Frank Yzenas Nr. 12161945
Leon Hill Nr. 38273822
George Dobbs Nr. 39406131
letzte Sicht der B-17 15 Meilen östl. Berlins
Seriennummer: 240056 (42-40056)

13 Maschinengewehre
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4 Motoren mit Seriennummern

KU bzw. Berichte über Gefangennahmen
8. März 1944
10 Besatzungsmitglieder gefangen genommen,
davon 8 vom Quartier Jüterbog-Damm und
davon 2 vom Quartier Jüterbog-Waldlager,
keiner davon tot oder verletzt
Norman Chapman Nr. 0-746292 Nähe Fröhden
Rex Ellis Nr. 0-752187 bei Hohengörsdorf
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Nr. 12188872 Raum Jüterbog
Nr. 31153017 Raum  Jüterbog
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gefunden 9,5 Kilometer südsüdöstl. Jüterbogs
zerstörungsbedingt nur eine “2400” erkennbar
auf der Rückseite auch eine “6” erkennbar
13 Maschinengewehre
Zerstörungsgrad ca. 95%
keine Bomben gefunden
4 Motoren tief in den Boden eingedrungen


Aufgrund der gegenübergestellten Daten und deren Übereinstimmungen bei einigen Besatzungsmitgliedern sowie der fast vollständig identifizierten Seriennummer des Flugzeugs besteht kein Zweifel an der Identifikation dieses B-17 Flugzeugs.

An diesem Tag verlor die amerikanische Airforce in dieser Mission insgesamt 27 B-17 Flugzeuge,
wobei die 100-ste Bombergruppe lediglich diese eine B-17 verlor, ein zufriedenstellendes Ergebnis nach den sehr hohen Verlusten, die sich für die 100-ste Bombergruppe bei einem Einsatz am 6. März 1944 ergaben.

Während die vier Offiziere Chapman, Ellis, Lindbom und Clark nach diversen Zwischenstationen in das Kriegsgefangenenlager Barth/Ostsee (Stalag Luft I) gelangten, wurden die sechs anderen  Besatzungsmitglieder in andere Kriegsgefangenenlager untergebracht. So gelangten beispielsweise der Ingenieur Silverman sowie der Funktechniker Scharf in das Kriegsgefangenenlager Heydekrug
(Wehrkreis I Königsberg, Stalag Luft VI, heutiger Ort Silute/Litauen) im damaligen Ostpreußen.
In den Lagern verblieben alle zehn Besatzungsmitglieder in Gefangenschaft bis zu ihrer Befreiung gegen Kriegsende im Frühjahr 1945.

Obwohl der Co-Pilot Ellis sowohl im Luftkampf als auch unmittelbar nach seiner Fallschirmlandung dem Tode sehr nahe war und anschließend über ein Jahr seines Lebens in Gefangenschaft verbringen mußte, kehrte er der Airforce nicht den Rücken, er blieb ihr treu. Und trotz der bitteren persönlichen Erlebnisse, die er im Kampf gegen das Nazi-Regime erleben mußte, flog er sogar im Zusammenhang mit der Luftbrücke während der Berlin-Blockade 1948/49 Lebensmittel zu den eingeschlossenen Menschen nach Berlin(West). Ein respektvoller Lebenslauf eines Kriegsveteranen.

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